Quelle: Festschrift 125 Jahre Kirchenchor "Cäcilia" 1843-1968 S. 41

Pfarrer Julius Wilhelm Imandt

1846 – 1915

Pfarrer in Roden von 1888 – 1912

 

Imandt, Pfarrer in Roden (Saar), berichtet über seine Erlebnisse aus der sogenannten Kulturkampfzeit.

 

Mitte September 1873 besuchte ich den damaligen Regens des Priesterseminars, Herrn Dr. Balth Eberhardt, „Die Herren Kapläne“ sagte er „werden durch die sogenannten Mai-Gesetze nicht betroffen, denn sie verwalten ein geistliches Amt nicht selbstständig, sondern sie sind nur die Gehilfen ihrer Pfarrer, arbeiten also nur nach Anweisung. Die Verantwortung auch der Regierung gegenüber, tragen nur die Herren Pfarrer.“ Ich wagte den Anschauungen des Herrn Regens zu widersprechen, wurde aber doch durch seine Ausführungen schwankend.

 

In dieser zweifelhaften Stimmung wurde ich wenige Tage nachher durch die bischöfliche Behörde zur Aushilfe in der Seelsorge nach Dillingen (Saar), berufen. Mein Zweifel sollte alsbald gehoben werden. Schon im Dezember erfolgten die Sperre und gerichtliche Anzeige wegen Übertretung der sogenannten Mai-Gesetze. Im Februar 1874 erhielt ich wegen Verletzung der Maigesetze eine Gefängnisstrafe von 6 Wochen. Bald folgten weitere Verurteilungen. In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1874 sollte ich in der frühesten Morgenstunde verhaftet werden. Zu diesem Zwecke bestellte der damalige Bürgermeister von Fraulautern, Herr Peters einen Wagen. Wider Verbot gab der Wagenführer von diesem Auftrage sofort Nachricht an meinen Herrn Pastor. Am Nachmittag des 4. Mai war ich mit dem Herrn Kaplan Bell von Roden in Pachten und kehrten wir gegen 6 Uhr nach Dillingen zurück. Hier hörte ich von meiner bevorstehenden Verhaftung. Ich wollte nur am hellen Tage verhaftet sein und ging deshalb mit Herrn Kaplan Bell nach Roden, allwo der Herr Pastor Thirion mich zur Herberge für die Nacht freundlich aufnahm. Gegen 3 Uhr in der Frühe hörte ich den verhängnisvollen Wagen nach Dillingen hinfahren. Ich celebrierte in Roden und begab mich dann gegen 9 Uhr nach Dillingen. Hier war die Bevölkerung in höchster Aufregung, da der Bürgermeister in Begleitung von Gendarmen und Polizeidienern schon zu frühester Stunde zu wiederholten Malen meine Verhaftung versucht hatten. Die guten Leute von Dillingen suchten mich vom Eintritt ins Pfarrhaus abzuhalten. Die Verhaftung musste ja doch einmal erfolgen, dachte ich, und meinen Zweck, nicht in der Nacht wie ein Dieb abgeführt zu werden, hatte ich erreicht. Ich trat ins Pfarrhaus ein und eine viertel Stunde später stand der Bürgermeister mit seiner amtlichen Begleitung mir gegenüber und verhaftete mich. Ihm war die Erfüllung seines Amtes überaus schwer geworden. Er konnte kaum ein Wort hervorbringen und zitterte wie ein geängstigtes Kind. Der Wagen stand vor dem Pfarrhaus. Die Arbeiter von Dillingen erfassten ihn, schon schwankte er zur Seite. Sie wollten ihn zertrümmern. Noch gerade im rechten Augenblick trat ich vor die Arbeiter und brachte sie zur Ruhe, indem ich ihnen klar machte, dass falls die ihr Vorhaben ausführten, ich den Weg nach Saarbrücken zu Fuß zurücklegen müsste. Die Ruhe war für einen Augenblick hergestellt. Ich bestieg den Wagen und der Gendarm nahm neben mir Platz. In schnellem Galopp ging es jetzt durch die tobende und schreiende Volksmenge. In dem nahen Ensdorf wollte ich den damaligen Pastor Hauth begrüssen. Es wurde mir nicht gestattet. Unterwegs wollte ich den Wagen zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse verlassen, auch dies wurde mir mit harten Worten verweigert.

 

Ich betrat das Gefängnis in Saarbrücken und stand dem Inspektor gegenüber. „Sind Sie der Geistliche Imandt?“ „Mein Name ist Imandt, Kaplan in Dillingen.“ „Sie sind nicht Kaplan, also auch nicht Kaplan in Dillingen. Sie sind einfach Geistlicher. Führen sie ihn ab!“ sprach er zu dem neben ihm stehenden Gefängniswärter.

 

Bald war ich in einer kleiner Zelle. Die schweren Riegel wurden vorgeschoben, es ging mir durch Mark und Bein, ich war jetzt allein. Welch wehmütigen Gefühle überkamen mich in dieser Gefängnisstille, doch mit den Worten: Fiat voluntas tua (es geschehe dein Wille), fand ich bald wieder Trost und Hoffnung in meinem Schicksal. Unterdessen war es ½ 2 Uhr geworden, mich hungerte. Ich klopfte an die Tür. Ein Wärter trat ein und fragte mich nach meinem Begehren. - „Ich wünsche zu essen, da ich seit ½ 8 Uhr nichts mehr gegessen habe.“ Der Wärter brachte mir bald die Antwort des Inspektors: „Sie sind nach Tisch eingeliefert worden, und die Privatküche des Inspektors bietet Ihnen auch nichts. Ich verlangte Schreibzeug um Beschwerde erheben zu können. Schreibzeug wurde mir nicht gegeben, aber der Inspektor liess mir sagen, für den Fall, dass ich noch etwas Geld hätte, könnte ich mir noch etwas Käse und Brot kaufen lassen. So dinierte ich dann ganz einfach und bescheiden mit Käse und Brot um ½ 3 Uhr. Jetzt erfolgte das eintönige, den sogenannten „Spänlingen“ damaliger Zeit zu bekannte Gefängnisleben.

 

8 Tage und Nächte war ich allein in meiner einsamen Zelle. Dann wurde der Pfarrer von Ittersdorf, Herr Gondorf eingeliefert. Bald folgten die Herrn Kapläne Schilben, Görgen, Schmitt, der Herr Pastor Kautz und endlich Herr Pastor Isbert, der leider wegen der bei seiner Verhaftung ausgebrochenen, lärmenden und ungestümen Volksszenen welche sich der Verhaftung widersetzten, Einzelhaft erhielt. Ungefähr nach 2 Monaten wurde ich unwohl. Mein Zustand verlangte den häufigen Besuch des Abortes. Ich bat um eine Einzelzelle in der Weise, dass die Tür der Zelle nicht verschlossen werde, und ich ungehindert nach dem Aborte im Hause gehen könne. Ein Verlassen des Gefängnisses selbst wäre ausgeschlossen geblieben. Ich erhielt eine Einzelzelle aber die Türe musste verschlossen bleiben. Man gab mir einen Eimer, und ich konnte Tag und Nacht elend in übelriechender Luft zubringen. Gewiss eine Behandlung, gegen welche jedes menschliche Gefühl sich sträubt. Ich schreibe dies einzig auf Rechnung des protestantischen Gefängnis-Inspektors. Vielleicht war es von mir zu nachsichtig behandelt, dass ich später gegen diese Behandlung nicht Klage erhob. Nach 4 langen Tagen war ich wieder hergestellt und kam wieder auf das gemeinschaftliche Zimmer zu meinen Leidensgefährten. Nachdem ich 3 Monate im Gefängnis gebüsst hatte, wurde ich in Freiheit gesetzt ganz wider Erwarten, da infolge eines Formfehlers die folgenden Urteile noch nicht rechtskräftig geworden waren.

 

Selbst strebend begab ich mich nach Dillingen und amtierte weiter. Am 29. September kam Herr Bürgermeister Peters mit demselben Gendarm wie früher, und ich wurde zum zweiten Male verhaftet. Ich berichtete dem Herrn Bürgermeister über die unwürdige Behandlung seitens des Gendarmes bei meiner ersten Verhaftung. „Sie haben den Herrn Kaplan nur zu begleiten“, wandte sich der Bürgermeister an den Gendarm, „ will er irgend eine Erfrischung geniessen, oder jemanden auf kurze Zeit sprechen, so hat der Herr Kaplan Ihrer Erlaubnis nicht nachzusuchen, sondern sie haben ihm in angemessener Entfernung zu folgen.“ „Verstanden, zu Befehl Herr Bürgermeister.“

 

Der Volksauflauf bei der ersten Verhaftung veranlasste die Behörde einen anderen Weg einzuschlagen. Ich erhielt eine Fahrkarte II. Klasse bis Türkesmühle und der Gendarm nahm neben mir Platz. So dampfte ich denn jetzt von Dillingen ab. Ich war ausgewiesen, ich war heimatlos geworden, und doch war ich froh, dass ich nicht wieder in das düstere Gefängnis zurück musste. Ich sagte „düster“ ein Beiwort, das man mit Recht einem Gefängnis beilegt, aber uns 6 Geistlichen hatte man es doch besonders düster gemacht. Die Fenster wurden nämlich von Aussen mit Brettern zugenagelt, nur die beiden oberen Scheiben blieben frei, damit doch wenigstens etwas Licht und Luft ins Zimmer eindringen könnte. Man scheute sich auch nicht uns den Grund für diese Behandlung anzugeben. Damit die Geistlichen, - so hiess es, - die inhaftierten Fraunespersonen in deren Erholungspausen nicht sehen können. Auch diese Behandlung notiere ich dem Inspektor auf seine Rechnung.

 

In Türkesmühle wurde ich ausgesetzt. Ich war in Oldenburg, also frei. Der Gendarm folgte mir überall hin. Ich belehrte ihn, dass er seines Amtes entbunden sei. Er liess sich nicht belehren. Die Folge davon war, dass die Menschen sich massenhaft versammelten, und ich mich veranlasst sah, den Gendarm abermals und diesmal öffentlich zu belehren, dass er mich nicht mehr zu begleiten habe. Die Volksmenge verlachte den Gendarm und dieser wagte nun nicht mehr mir zu folgen. So stand ich nun heimatlos und mutlos auf fremder Erde. Was war natürlicher, als dass ich gegen alles Verbot mein Elternhaus in Feyern bei Trier aufsuchte, ich hatte ja noch einen guten Vater und mehrere Geschwister. Nach einem Aufenthalt von 6 Wochen im elterlichen Hause wurde ich von einem Beamten heimlich benachrichtigtet, dass ich am andern Morgen verhaftet werden sollte. Richtig, ein Gendarm kam und untersuchte das ganze Haus von oben bis unten. Am Abende vorher war ich abgereist und genoss die Gastfreundschaft meiner Verwandten in Düsseldorf. Ich beabsichtigte die Entlassung des hochw. Herrn Bischof Eberhard aus dem Gefängnis abzuwarten.

 

Mitte Dezember musste ich Düsseldorf verlassen, denn obgleich ich nur Zivilkleidung trug, wenn ich ausging, war die Polizei doch auf mich aufmerksam geworden. Ich hielt mich in Koblenz und Umgebung auf und traf am 31. Dezember 1874 in Trier ein. An diesem Tage hatte Bischof Eberhard nach 9 monatlicher Gefängnisstrafe die Freiheit wieder erhalten. Am 3. Januar 1875 ging ich zu dem hochw. Herrn. Er setzte sich neben mich aufs Sofa, er war tief gerührt, es sprach nur sein Vaterherz. Mein Vorhaben nach Österreich aus zuwandern hiess er gut. Der damalige Bischof Rüdiger von Linz, wo mein Vetter August Imandt Pfarr- Provisor war und heute (1898), noch Pfarrer ist in Ebensee, hatte mir Aufnahme in seiner Diözese zugesichert.

 

So verließ ich denn am 9. Januar 1875 das elterliche Haus und war bald bei meinem Vetter in Weyr a/d. Ems. Einige Tage nachher begleitete mich mein Vetter zum Bischof, er lud mich zum Dinner ein. Während des Essens sagte der Bischof: „Es tut mir Leid, dass Sie hier sind, denn mein Versprechen, Sie in meiner Diözese zu verwenden, kann ich leider nicht halten, es hieße dies einen Kampf mit der Regierung heraufbeschwören.“ Welch bittere Enttäuschung für mich, niedergeschlagen und verdrießlich kam ich bei meinen Vetter abends in Weyr an. Meine gute Cousine Sophie, Schwester meines Vetters, meinte es sei ganz gut so, ich sollte unbesorgt bei Ihnen bleiben, ich habe ja ein nettes Zimmer nebst freier Station, ich könne studieren und spazieren gehen. Nolens volens musste ich den Vorschlag meiner Cousine annehmen und blieb 5 Monte. Die Leute hielten mich für einen ausgewiesenen Jesuiten und waren sehr zuvorkommend gegen mich. An die Vetterschaft glaubten sie nicht. Jetzt fand ich Stellung durch meinen Vetter als Hauskaplan bei dem Herzog Philipp von Württemberg, vermählt mit der Erzherzögin Maria Theresia von Österreich. Ich wohnte bei dem Herrn Dechant in Altmünster und celebrierte täglich in der Schlosskapelle in Gemünden am Traunsee. Zum Glück hatte der alte Herr Dechant 2 recht liebe Kapläne, so dass ich mich ziemlich in meine Lage fügte. Übrigens war das Engagement nur bis zum 1. Oktober abgeschlossen, an welchem Tage die hohe Herrschaft nach Wien verzog und eines eigenen Geistlichen nicht mehr bedurfte.

 

Durch Vermittlung des Herrn Baron von Glognoni, eines überaus liebevollen und frommen Herrn, fand ich Aufnahme bei den Fürsten Karl von Löwenstein in Klein-Heubach a/Main in Bayern. Hier fand ich gute Aufnahme und auch hinreichende Beschäftigung. Ich unterrichtete die ältesten Prinzessinnen, Kinder von 10 - 14 Jahren in Deutsch, Literatur und Geschichte. Der Unterricht machte mir viel Freude, da die Kinder überaus gut erzogen und außerdem talentvoll und fleissig waren. Ich hatte auch von Würzburg Cura animarum (Seelsorge) und predigte jeden Sonntag in der wunderschönen Schlosskapelle. Diese Kapelle ist ein reines Schmuckkästchen, gemalt nach Zeichnungen des berühmten Professors Dr. Steinle. Aber auch diese Stelle konnte, wie mir bereits vor Antritt derselben geschrieben wurde, nicht von langer Dauer sein, da die hohe Herrschaft die Prinzessinnen in ein Institut in Österreich zu schicken beabsichtigten.

 

Mit Erlaubnis des Fürsten durfte mein Vater mich auf 8 Tage besuchen. Ich durfte ihn in einem feinen fürstlichen Wagen in Aschaffenburg abnehmen. Am 2. Tage machten wir in demselben einen Ausflug. Unterwegs sagte mein Vater: „Wilhelm am fürstlichen Hofe ist es zu nobel für dich, ich sähe dich lieber auf jeder beliebigen Stelle, schon allein deshalb weil du dich auf die gewöhnliche Pastoral Arbeit vorbereitet hast.“ Ich suchte meinen Vater zu überzeugen, dass ich auch hier am Platze sei, dachte aber, der Vater hätte so ganz unrecht auch nicht. Denn die Hofluft wird mitunter doch etwas schwül. Diese Wünsche meines Vaters gingen bald in Erfüllung. Meinen Schülerinnen kamen auf die besagte Anstalt, und ich wurde durch die Vermittlung seiner Durchlaucht des Fürsten Karl zu Löwenstein bald nach Ostern 1876 zum Kaplan in Wörth ernannt.

 

Der Fürst hat den Patronatsrecht über die Pfarrei. Wörth ist ein kleines Städtchen, 2 Stunden von Klein-Heubach; dicht am Rhein gelegen. Der gute Pfarrer Haus von Wörth war sehr gern am Hof von Klein-Heubach gesehen, dort hatte ich ihn kennen und hochschätzen gelernt. In allen schwierigen Fragen wandte sich der Fürst an Pfarrer Haus. Ich hatte den Fürsten oft begleitet, wenn er den Pfarrer Haus besuchte. Frohen Mutes trat ich daher die Kaplans Stelle an. Ich kam zu einem erfahrenen und frommen Manne der sich am meisten durch tiefe Demut auszeichnete. Er liebte mich sehr und war besorgt um mich, wie ein guter Vater. Das Gefühl der Verbannung trat immer mehr zurück. Ich hatte die Filiale Trennfurt zu besorgen, ein Dorf von etwa 1000 Einwohnern. Der gut Pfarrer Haus überliess mir die Pastroration in der Filiale, allwo ich das Hochamt zu halten hatte. Ich blieb dort über Mittag und hielt auch den Nachmittagsgottesdienest.

 

Täglich mit Ausnahme von Montags celebrierte ich in Trennfurt. Die Trennfurter Leute sagten mir sehr zu, ich wäre gerne mein ganzes Leben lang bei ihnen geblieben. Dem guten Pfarrer war ich für das in mich gesetzte Vertrauen stets dankbar, und ich gab mir alle Mühe, mich desselben stets würdig zu erweisen. Der gute Pfarrer Haus (so wurde er gewöhnlich vom Klerus und Volk genannt) hatte zu der Zeit an vielen Orten den katholischen Volksverein ins Leben gerufen. Eines Tages hielt er in einem Nachbardorfe eine diesbezügliche Versammlung ab und kam in seiner Rede auf den Kulturkampf zu sprechen. Er streifte indes dieses Thema nur und gemerkte also: „Wer über preussischen Kulturkampf näher unterrichtet sein will, suche eine Unterredung mit meinem Herrn Kaplan anzuknüpfen, dieser ist ein Opfer des peussischen Kulturkampfes.“ Dies merkte sich ein liberaler Ortsvorsteher (in Bayern Bürgermeister genannt) und schleunigst wurden Erkundigungen über mich eingezogen. Das Resultat war, dass von der preussischen Regierung meine Auslieferung verlangt wurde, da ich noch eine 6 oder 9 monatliche Gefängnisstrafe zu verbüssen habe. Ein Beamter der königl. Regierung in Trier, der mit der Ausführung getraut war, hatte menschliches Rühren mit mir und liess mir sagen, ich sollte Wörth verlassen, falls ich nicht wieder ins Gefängnis wollte. Mein guter Pfarrer, unvergesslich bleibt mir sein Schmerz. „Ich unglücklicher Mensch“ rief er aus, „ich finde Tag und Nacht keine Ruhe, ich allein bin durch meine unvorsichtige Rede schuld an allem was nun über sie hereinbricht.“ Ich vergass meine eigene Lage und versuchte nur einen guten Pfarrer zu beruhigen. Wir berieten miteinander und beschlossen meine Abreise nach Belgien.

 

Ich besass noch keine 20 Mark und der gute Pfarrer der mir so gerne geholfen hätte konnte noch nicht einmal 10 Mark zusammenfinden. Wie sollte er auch Geld haben, der alles verschenkte was er erübrigen konnte. Er wurde hierbei nicht selten hintergangen, aber dies hinderte ihn nicht bei der nächsten Gelegenheit reichlich zu geben, wie er konnte. Seine Schwestern welche seine wohl zu grosse Freigiebigkeit kannten, hatten deshalb, bevor sie sich bereit erklärten, seinen Haushalt zu übernehmen einen merkwürdigen Vertrag geschlossen: Für unsern Gebrauch brauchst du uns kein Geld zu geben und wir stellen dir noch dazu die Kleider. Hingegen darfst du nie bei uns Geld leihen. Der Pfarrer nahm den Vertrag an und die Schwestern hatten, so schlau sie auch sein wollten, doch den Kürzeren gezogen. Der Pfarrer verschenkte nämlich auch seine Kleider und zwar nur im guten Zustande. In der Pfarrei wusste kein Mensch, was den guten Pfarrer und mich beschäftigte. Am 2. Februar nahm ich in Trennfurt noch nachmittags die Halssegnung vor, nahm Abschied von meinem guten Pfarrer und seinen 2 Schwestern, sodann auch von der fürstlichen Familie in Klein-Heubach. Hier wurde ich mit dem notwendigen Reisegeld reichlich versehen.

 

Meine Reise führte mich zunächst zu meinem alten Vater und meinen Geschwistern, denen mein unerwartendes Los neuen Kummer bereitete. Nach kurzem Aufenthalte im elterlichen Hause reiste ich zunächst nach Lüttich, konnte aber dort wegen nicht genügender Kenntnis der französischen Sprache keine Stelle finden.

 

Ich reiste daher nach Brüssel wo mehrere ausgewiesene Geistliche als Abbe an Pfarrkirchen eine Stelle gefunden hatten. Nach einigen Tagen war ich als Abbe an der Pfarrkirche Notre Dame de bon Secours angestellt.Nach etwa 3 Wochen sagte mir mein Pfarrer, dass er mich ohne bischöfliche Erlaubnis angenommen habe, nunmehr aber sei durch den Kardinal von Mecheln ein Abbe ernannt worden, ich sei also entlassen. Also schon wieder in Not, doch nur wenige Tage. Ich kam als Abbe an die Pfarrkirche Notre Dame de la Chapelle. Meine Dienste bestanden hauptsächlich im Ministrator. Ich celebrierte täglich um 11 Uhr, Sonntags um 12 Uhr. Das lange nüchtern bleiben wurde mir sehr beschwerlich und ich suchte eine andere Stelle zu finden. 3 Monate waren vergangen. Da lässt der Pfarrer von Bon Securs mich rufen und erklärt, dass er mich jetzt mit Erlaubnis der bischöfl. Behörde als Abbe nehmen dürfte, da der letzthin angestellte Abbe seine Stelle verlassen habe. Ich nahm dankend an und celebrierte täglich um 8 Uhr. Mein neuer Pfarrer Monsieur van Roy gewann mich bald recht lieb und ich verehrte ihn und schätzte ihn hoch. Meine freie Zeit verwandte ich ausschliesslich auf die Erlehrnung der französischen Sprache und bald konnte ich meine Gedanken frei und ungehindert in dieser Sprache ausdrücken. Der Herr Pfarrer war mir hierbei sehr behilflich und übertrug mir die Stelle eines Katecheten in der französischen Sprache. Nach einiger Zeit bot mir dieser Unterricht keine besonderen Schwierigkeiten mehr.

 

Am ersten Sonntag nach meiner Ankunft in Brüssel besuchte ich den dortigen Gesellenverein. Schon am dritten Sonntag wählte man mich zum Vize-Präses. Drei Monate darauf verliess der damalige Präses des Gesellenverein, Herr Kaplan Anderheyden aus der Diözese Köln seine Stelle und wanderte nach England. Ich wurde zum Präses des Gesellenvereins gewählt, und arbeitete mich mit aller Lust und Liebe in dieses Amt hinein. Vater Kolpings Werk lag mir am Herzen, dasselbe unter Deutschen auf nicht deutscher Erde zu fördern, war meine Lieblingswerk. Sie bot mir ein grosses aber auch ergiebiges Aufgabenfeld. Mein Gesellenverein war schön, die Fremde hielt ihn fest zusammen, so dass ich heute glaube in ganz Deutschland gibt es keinen schöneren Gesellenverein als der damalige Brüsseler. Dieses ehrende Zeugnis gab uns der Kardinal Dr. Gnescha, General Präses der Gesellenvereine Österreichs. Mir schenkte der hohe Kirchenfürst damals seine Photographie mit eigenhändiger darauf geschriebenen Segenswunsch als Zeichen seiner Anerkennung. Das Bild ziert noch heute mein Arbeitszimmer. Ohne Gesellenverein hätte ich Brüssel bald wieder verlassen, aber nur er band mich fest an diese Stadt. Ich blieb Präses bis zu meiner Zurückberufung in meine Heimat den 14. Februar 1884. Ganz auffallend kam es mir vor, dass die belgische Geistlichkeit von unserm Kulturkampf kein Verständnis hatte. Sie hielten uns ausgewiesenen Geistlichen für rechtlich bestraft und hatten so ein gewisses Misstrauen gegen uns. Zum Lobe muss ich meinem Herrn Pfarrer van Roy nachsagen, dass er meine Belehrungen über den Kulturkampf volles Vertrauen schenkte und bald nachher bei allen Zusammenkünften mit Geistlichen, denen ich beiwohnte, stets für unsere Ehre eintrat. Ein belgischer Kaplan seiner Kirche und ich wurden seine Hausfreunde, wodurch ich mir den Neid der andern zuzog. Mit dem Pfarrer waren wir zu 8 Geistliche in der Stadt von 18000 Seelen tätig. Er blieb mein väterlicher Freund bis zu seinem Tode 1897. Im Jahre 1893 besuchte ich ihn. Er empfing mich aussergewöhnlicher Freude, und bedauerte nichts mehr, als dass sein krankhafter Zustand und hohes Alter es ihm unmöglich machten, mich in meiner jetzigen Stelle zu besuchen. Ich werde ihm ein treues Andenken bewahren. In Brüssel besteht auch eine deutsche Mission. Während meines dortigen Aufenthaltes war die Leitung derselben einige Male frei. Ich gab mir alle Mühe, die Missionsstelle mit dem deutschen Gesellenverein zu verbinden. Ich bracht es aber nicht zu Stande und dies tat mir sehr leid.

 

Im Februar 1884 wurde das Rektorat der deutschen Mission wieder frei. Diesmal wurde mir die Stelle angetragen, mein Wunsch sollte sich jetzt erfüllen. Da erhielt ich unerwartet vom bischöfl. Generalvikariat in Trier die Nachricht, dass ich zum sogen. Hilfsgeistlichen in Dannscheid bei Oberwesel a/Rh. ernannt sei und das ich die Pfarrei ungehindert verwalten könne. Am selben Tage kündigte ich meine Stelle in Brüssel und schon am 4. März eilte ich der Heimat zu, Gott innig dankend, dass die Zeit der Verbannung zu Ende war. Denn was Verbannung heisst, begreift nur der, welcher sie aus Erfahrung kennt. In Brüssel wurde ich, Dank guter Beziehung in viele katholische Familien hohen Adels eingeführt. Hier findet man einen waren Glauben, feste Religiösität wie man es leider bei der grossen Masse nur zu sehr vermisst. In diesen reichen Adelsfamilien war ich vielmals durch Unterricht beschäftigt, so dass ich vollständig hinreichendes Auskommen hatte, aber Seelsorge auf heimatlicher Erde, das ist doch etwas ganz anderes. Das Exil bleib immer Exil, wie auch der goldene Käfig nicht aufhörte die freie Bewegung zu rauben. Mit Gottvertrauen war ich in die Verbannung gegangen, wie ich es aussprach in meiner letzten Predigt mit den Schlussworten des Te Deums: „In te Domine, speravi, non conrundar in seternum.“

 

Im Jahre 1885 besuchte ich meinen guten Pfarrer Haus in Wörth. Er war mir bis Aschaffenburg entgegen geeilt. Welch ein frohes Wiedersehn! Wir wurden nicht müde zu plaudern und zu erzählen. In Wörth, besonders aber in Trennfurt wurde alles aufgeboten, mir die Tage des Besuches recht angenehm zu machen. Nun ist der gute Pfarrer Haus ins Grab gesunken im Alter von 58 Jahren. Er starb mitten in der Arbeit, die seine Kräfte aufzehrten, als Pfarrer, Reichs- & Landtagsabgeordneter.

 

Hiermit schliesse ich den Bericht über die Kulturkampfzeit, nur sei bemerkt, dass sie ganz anders verlaufen ist, als es in meiner Absicht lag. Ich wollte nämlich nach Amerika auswandern und hatte bereits die einleitenden Schritte getan. Mein Vater war hierzu nicht zu bewegen. „Wenn du gehst“ sagte er, „so ist deine Abreise ein Nagel zu meinem Sarg.“

 

Diese Worte wirkten mächtig auf mich. Ich wäre so gerne mit meiner jugendlichen Kraft zum Dienste Gottes nach Amerika gewandert. Ich blieb der Heimat so nahe wie möglich, nur aus Gehorsam gegen meinen lieben Vater.

 

Roden (Saar) im August 1898

Saarlouis II. 26.VII.1913 A. Groß*

 

*Bei dem Namen "A. Groß" könnte es sich um seinen Neffen Wilhelm Alfons Groß handeln.

 

Die Wiege des Pfarrer Imandt stand in Prüm. Seine Eltern siedelten nach Trier-Feyen. Er gehörte zu den Weihkandidaten des 30. August 1875. Die weiteren Lebensschicksale des Pfarrers Julius Wilhelm Imandt sind mit Roden 1888 – 1912 wo er die große neue Kirche baute, und Tellig 1912 – 1914 bezeichnet. Es mag ihm hart angekommen sein, die belgischen Kriegsschilderungen zu erfahren. Die Erinnerungen die Jahre der Verbannung gingen ihm ja zeitlebens nach. Er kannte den belgischen Volkscharakter und wußte welche Verheerung der Durchzug durch Belgien mit all` seinen Begleiterscheinungen für die Verhältnisse zwischen Deutschland und Belgien haben mußten. Er hat den Ausgang des gigantischen Ringens hienieden nicht mehr erlebt. Die Erinnerung an die Tätigkeit des Kaplan Imandt in Dillingen ist noch sehr lebendig und die Rodener Pfarrkinder werden beim Betreten ihrer neuer Pfarrkirche auch den Erbauer nicht vergessen, und seiner im Gebete gedenken. Niemand wird ja leichter vergessen als der Priester. Pfarrer Julius Wilhelm Imandt wurde am 3. April 1846 zu Prüm geboren und starb als emeritierter Pfarrer in Trier am 5. August 1915. Er möge ruhen in Frieden!

 

Saarlouis-Roden den 20. Februar 1926

N. Mathieu – Görg.