Der Legionär“ (von Walter Schmolenzky)

 

Eine Erzählung aus der Nachkriegszeit in Saarlouis - Roden

 

 

Anfang der 1950iger Jahre, ich war etwa 12 Jahre alt, war ich Kegeljunge im Kegelclub meines ältesten Bruders, Hans. Zu dem Club gehörte ein Kegelbruder, den alle nur den „Legionär“ nannten. Manchmal durfte ich nach dem Kegeln noch etwas bleiben. Man bestellte mir ein Glas Cola, damals „Becker Cola“ und ich hörte den Gesprächen der Älteren zu. Vieles von dem habe ich damals nicht verstanden, wobei das meiste für Kinder-ohren auch nicht bestimmt war. Wo ich ein wenig zuhören durfte, bevor man mich nach Hause schickte und was mir bis heute in Erinnerung geblieben ist, war die eindrucksvolle Geschichte von Willi, dem Legionär. Meistens begann es in der Runde mit den Worten seiner Kegelbrüder:

 

Willi“, erzähl uns doch etwas aus deiner Zeit in der Légion Étrangère! Wenn Willi dann zu erzählen anfing, lauschte nicht nur ich:

 

Es war im Jahre 1946 als ich mich nach einer durchzechten Nacht in der Innenstadt in Saarlouis in einer jener einschlägigen Kneipen, die in diesen Tagen noch vielfach ohne Konzession arbeiteten und mit viel Geschick die Sperrstunden und die Kontrollen der Gendarmerie umgingen, von einem französischen Werber für die Fremdenlegion anwerben ließ. Ich glaube, es war in einem Hinterzimmer der Schankräume „Zum grünen Baum“ oder beim „Panzer Jakob“, in denen damals der auf Schwarz-märkten organisierte Alkohol ausgeschenkt wurde“.

 

Heute ist es für die meisten wohl völlig unverständlich, wenn jemand wie ich, der die Schrecken des Krieges als junger Soldat der Wehrmacht hautnah miterlebt hat, sich schon wieder, wenige Monate nach Kriegsende und nach der Freilassung durch die Amerikaner, erneut für den Dienst an der Waffe entschied. Um einen solchen Schritt vielleicht ein wenig zu verstehen und nicht vorschnell zu verurteilen, sollte man schon ein wenig über die damaligen Verhältnisse wissen:

 

Der 2. Weltkrieg war gerade vorbei und staatliche Strukturen mussten erst wieder neu geschaffen werden. In der fast völlig zerstörten Stadt lebten auf engstem Raum Einheimische, obdachlose Flüchtlinge, durchziehende Kriegsgefangene, die auf der Suche nach ihren Angehörigen waren und versprengte Zwangsarbeiter verschiedener Nationen. Strandgut des Krieges, das sich in den Räumen der alten Kasernen und den Kasematten notdürftig eingerichtet hatte. In den Notunterkünften, vielfach nur Kellerräume in den Ruinen, herrschte Hunger und Elend. Besonders litten in jenen Tagen die Kinder, Alte und Kranke. Der Schwarzhandel blühte und im täglichen Überlebenskampf kam es auch immer wieder zu Über-griffen. Es gab eine hohe Kriminalitätsrate. Fast schon Anarchie. Da zwischen französischen Soldaten und Kolonialsoldaten aus dem Maghreb und dem Senegal. Und eine in weiten Teilen völlig überforderte Militär-verwaltung sollte in diesem Pulverfass, in dem auch Gewalt-verbrechen geschahen, für Recht und Ordnung sorgen. Es gab Bereiche in der Stadt, etwa um die alten Festungsanlagen und den Stadtgarten, die selbst tags-über gemieden wurden. Nachts waren in den Ruinen gewalt-bereite Plünderer, windige Geschäftemacher und zwielichtige Werber und Schlepper unterwegs, um Männer für die Legion oder für andere Zwecke zu gewinnen. Täglich wechselnde Gerüchte, die insbesondere Männer beunruhigten, machten die Runde:

 

Die Besatzer würden gesunde, arbeitsfähige Männer zu lebenslanger Zwangsarbeit nach Sibirien oder in die Kohlegruben nach Frankreich deportieren. Alle zeugungsfähigen Männer werde man zwangssterilisieren. Heiraten, Tabak und Alkohol werde für alle Deutschen verboten“.

 

Bei solchen Zukunftsaussichten und in einem Umfeld von Chaos und Zerstörung war es daher nicht besonders schwierig, junge Männer ohne jegliche familiäre Bindung und Zukunft, für die Fremdenlegion zu re-krutieren. Auch ich, ohne Ausbildung und Beruf, keine Perspektive, die Mutter gestorben, der Vater im Krieg gefallen, das Elternhaus zerbombt, fiel den Versprechungen und Überredungskünsten eines geschulten Wer- bers zum Opfer und fand mich nach jener durchzechten Nacht in einem kleinen schäbigen Zimmer in Creutzwald wieder und hatte einen Kontrakt für fünf Jahre Legion in der Tasche.

 

Ohne Abschied von meiner Schwester, der einzigen noch lebenden An-gehörigen nehmen zu können, wurde ich in Begleitung eines Sergent über Metz mit dem Zug nach Marseille gebracht. Von hier ging es mit dem Schiff nach Oran, in Nordafrika. An Bord des Schiffes überwiegend junge Männer, darunter auffallend viele Deutsche, die wie ich angeworben worden waren. Später erfuhr ich, dass darunter auch Kriegsgefangene waren, die man vor die Wahl gestellt hatte: „Fremdenlegion oder für eine unbestimmte Zeit Lagerhaft“. Vom Hafen in Oran ging es dann weiter nach Sidi-Bel-Abbès, dem Zentrum der Legion in Algerien. Hier angekommen, habe ich eine kurze, aber harte Ausbildung, die sich im wesentlichen auf die Handhabung der Waffen und das Erlernen der französischen Kom-mandosprache beschränkte – als ehemaliger Soldat der Wehrmacht brachte ich ansonsten die besten Voraussetzungen mit – durchgemacht, bis ich das „Képi blanc“ erhielt. Jetzt war ich ein vollwertiges Mitglied der glor-reichen Legion!! Danach begannen fünf lange Jahre, eine Ewigkeit, die ich mit Gottes Hilfe heil und gesund überlebt habe.

 

Willi, der mit drastischen Worten den harten militärischen Alltag wäh- rend seines Aufenthaltes in den Camps in der Sahara beschrieb, erzählte auch über seine Kriegseinsätze in Nordafrika und Indochina. Diese Schilderungen, in denen er auch heftig Kritik an der politischen und militärischen Führung der Franzosen übte, habe ich nur am Rande mit- bekommen, weil man mich vorher nach Hause schickte. Mir ist nur in Erinnerung geblieben, dass es sich dabei um besonders schlimme und gefährliche Einsätze, wie sich jeder denken kann, gehandelt haben muss. Mit vielen Toten und Verwundeten.

 

Am liebsten aber hörten ihm seine Freunde zu, wenn er ihnen erzählte, wie er mit seinen Kameraden im Fronturlaub in den exotischen Städten in Nordafrika und Indochina um die Häuser zog. Nach dem er ein paar Ein-zelheiten aus dem asiatischen und orientalischen Nachtleben zum Besten gegeben hatte, schloss er in der Regel seine Erzählungen mit den Worten:

 

So Freunde, das war`s für heute! Bedienung, eine Runde, für mich einen Pinard, einen algerischen Vin Rouge!

 

Nachtrag:

 

Gekegelt wurde damals in der Gaststätte an der Bach „Beim häh(ei)ligen Josef“ in der Herrenstrasse und in der Winterstrasse „Beim Pulchen“.

 

Neben Willi dem Legionär, der nach meiner Erinnerung in der unteren Lorisstrasse (früher Sandkaul) wohnte und aus Fraulautern stammte, der Nachname ist mir nicht bekannt, sind mir aus den Kegelabenden noch weitere Personen bzw. deren Spitznamen in Erinnerung geblieben:

 

Da Aschie“, ein guter Fußballer. „Da Heyhner Neckel“ (wohl Hühner Nickel!!!!), Glaser aus der Wintergass. „Da Polo“ (sein Markenzeichen: Polo-Zigarette), Bäcker, Konditor, Wirt und Fasendoriginal, „Da Bläses Hansi“ (Fußball) aus der Sandkaul. „Da Piff“ (vom Nachnamen Pfeiffer abgeleitet) aus der Herrenstrasse. An ihn kann ich mich noch bestens erinnern, weil er immer dann, wenn er etwas zu tief ins Glas geblickt hatte, das etwas abgewandelte Lied von Rudi Schuricke sang:

 

Bella, bella, bella Marie, ich häng dich auf und schneid dich ab morgen früh, bella, bella Marie das vergisst du nie!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

 

Ab und an schaute auch ein Mann mit Namen Albert Z., der ein Holzbein trug und aus der Thirionstrasse (Kirchengass) stammte, auf der Kegelbahn vorbei. Es wurde erzählt, er sei ebenfalls in der Legion gewesen und habe dort sein Bein verloren. Andere meinten, er habe das Bein im 2. Weltkrieg verloren. Ich erwähne ihn, weil sein späterer Freitod in Roden hohe Wellen schlug und im Kegelclub für reichlich Gesprächs-stoff sorgte. Hatte er sich doch filmreif, ich glaube es war in der Gaststätte „Tempo“ am Bahnhof, aus dem Leben verabschiedet, in dem er eine Flasche Pflanzenschutzmittel E-605 in Anwesenheit zahlreicher Gäste leerte. Manch einer sah in der spektakulären Art des Freitodes eine heroische Tat. Für die meisten aber, die sein Schicksal kannten, war dieser bedauernswerte Mensch eigentlich nur ein weiteres sinnloses Kriegsopfer, das an der illusionslosen Nachkriegszeit und an seiner schweren Kriegsverletzung verzweifelt ist.

 

Bei der eingangs erwähnten Schankwirtschaft zum „Panzer Jakob“ handelte es sich um eine kleine Einraumgaststätte in der damaligen „Soppengass“ in Saarlouis. Der Gastwirt hieß mit richtigem Namen Jakob Pfeiffer. Man nannte ihn „Panzer Jakob“, weil er im 2. Weltkrieg als Panzerjäger mehrere Panzer zerstört haben - und über eine Reihe von Auszeichnungen verfügt haben soll Sein Gastraum soll auch ein beliebter Treffpunkt für Kriegsveteranen gewesen sein.