Der Silberbaum in den Saarwiesen

( von Walter Schmolenzky)

 

Eine Kindheitserinnerung

 

Früher gab es in vielen Ortschaften, meistens in der Dorfmitte, eine Linde, die sogenannte „Dorflinde“. In sehr früher Zeit tagte unter ihr das Dorfgericht. Später war sie nur noch allgemeiner Treffpunkt für die Dorfbewohner. Hier blühte der Dorfklatsch und die neuesten Nachrichten wurden ausgetauscht. Außerdem war die Linde beliebter Treffpunkt für die Dorfjugend. Unter ihr wurden die ersten zarten Bande zwischen Jungen und Mädchen geknüpft, die später oft in einer Ehe endeten. In Roden gab es meines Wissens keine Dorflinde. Dafür gab es in den Saarwiesen, nahe der Einmündung des Brühlgrabens in die Saar, auf der Wiesenflur „Pontacker“ eine alte stattliche Buche. Dicht belaubt, mit weit ausladenden Ästen, stand dieser herrliche Baum wie ein Solitär inmitten der ansonsten baumlosen Wiesen. Unter dem dichten Blätterdach suchten die Menschen während der Heuernte Schutz vor der Sonne und Zuflucht bei Regen und Sturm. Den kleinen Vögeln bot sie Nist- und Ruheplatz, dem Bussard einen idealen Ansitz für die Jagd in den weiten Wiesen. Wie durch ein Wunder ist in all den Jahren nie ein Blitz in den freistehenden Baum eingeschlagen. Was die Dorflinde in anderen Ortschaften für die Dorfgemeinschaft war, war für die Jugend in Roden, insbesondere für die jungen Leute aus dem Unterdorf, die Buche in den Saarwiesen. Der Stamm war mit eingeritzten Herzen und Namen förmlich übersäht. Viele hatten sich in der Rinde verewigt. Vielleicht kann sich die ein oder der andere, vorwiegend aus den Jahrgängen 1924 – 1930, noch an die seinerzeit unter dem Baum abgegeben Treueschwüre und Versprechungen erinnern? In meiner Erinnerung hatte der Baum eine fast magische Ausstrahlung, die durch die Erzählungen meines Bruders Günter, noch genährt wurde. Er und seine Freunde ließen mich nämlich in dem Glauben, unter dem Baum sei ein Silberschatz versteckt. Daher auch der Name. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir Nachbarjungen aus dem Schloss nach dem Schatz suchten? Wir fanden ihn ebenso wenig, wie den angeblichen Geheimgang aus dem Schlosshof in der Herrenstrasse, der der Sage nach unter den Wiesen und ​unter der Saar bis zum Blauloch am Limberg führen soll. Irgendwann, ich glaube nach einem großen Hochwasser in den 1950-iger Jahren, war der Baum dann plötzlich verschwunden und mit ihm eine weitere, schöne Kindheitserinnerung.