Unter den langen Bäumen

(von Walter Schmolenzky)

 

Onner de lank Bäm“

 

 

Vor der Saarverlegung und dem Bau der Verbindungsstraße über die Gustav-Heinemann-Brücke gab es zwischen der Gerberstraße in Roden und der Holtzendorffer Straße in Saarlouis eine Wegestrecke durch die Fliesen, die in Roden nur die Strasse „Onner den lank Bäm“ genannt wurde. Diese Bezeichnung verdankte die Straße den Bäumen, die vermutlich lange vor 1900 entlang der Straße gepflanzt worden sind. Wenn die nahe gelegene Saar Hochwasser führte, was in jenen Jahren häufig der Fall war, waren die Fliesen überschwemmt. Die Bäume markierten dann bei Niedrigwasser den Straßenverlauf als Furt vom Fuße der früheren Flutbrücke an der Rodener Schanz bis zum Friedensweg am Stadtgarten.

 

Es waren Pappeln von beachtlicher Höhe, die dem Straßenzug den Charakter einer Allee verliehen. Dicht nebeneinander standen die majes-tätischen Bäume am Wegesrand. Die dicke Rinde und der mächtige Stammumfang wiesen auf ein hohes Alter hin. Obschon bei einigen durch Blitzeinschläge und Granatenbeschuss im 2. Weltkrieg die Spitzen fehlten, hatten sie nichts von ihrer Größe und Würde verloren. Trotzig hielten sie sich mit ihren riesigen Wurzeln, die durch die ständig wiederkehrenden Überschwemmungen fast freigelegt waren, im Erdreich fest.

 

An schönen Sommertagen, wenn leichter Wind durch silbrig-glänzenden Blätter der Pappeln strich, war es unter den Bäumen ein herrlicher Spaziergang auf dem Weg in aus der Stadt. Dagegen konnte im Herbst und im Winter, wenn Nebel von der Saar aufstieg und durch die Fliesen zog, der Gang in und aus der Stadt auch unheimlich sein. Die hohen Bäumen mit ihren kahlen Ästen, die dann wie Geisterhände in den Himmel ragten, wirkten dann fast bedrohlich. Und wenn den Heimkehrer auch noch die Krähen, die in den Wipfeln saßen mit Gekrächze begleiteten, war manch ängstliches Gemüt froh, wenn die ersten Häuser auf der Schanz oder am Stadtgarten wieder auftauchten.

 

Vieles haben die knorrigen Riesen im Laufe der Zeit gesehen. Als Zeitzeugen könnten sie heute berichten, wie anfangs die Bauern aus Roden mit Fuhrwerken und Handkarren ihre Erzeugnisse zum Wochenmarkt fuhren und wie an Festtagen die Jungbauern mit ihren Pferdekutschen den Weg in die Stadt suchten. Wie sie später die ersten Automobile und die Elektrisch durch die Fliesen begrüßten und im Krieg die Panzer vorbeifahren sahen. Wie sie den Berufstätigen auf dem Weg zur Arbeit und den Schüler auf dem Weg zur Schule begleiteten. Den fröhlichen Zecher auf dem Heimweg ebenso, wie das verliebte junge Paar auf dem Weg in den Stadtgarten.

 

Die alte Straße mit den hohen Bäumen gibt es nicht mehr. Steht man heute auf der Rodener Schanz, so deutet nichts mehr auf die historische Wegestrecke hin und nur wenige werden sich noch an die Straße

 

Onner de lank Bäm“ erinnern.